Carmen Cabert - Künstlerin aus Leidenschaft

Dr. Ruth Vuilleumier 2001

Carmen Cabert - Künstlerin, Kunstschaffende aus Berufung, leidenschaftlich kreativ, Träumerin zwischen den Welten, erfinderisch. Ideen umsetzen ist für sie wie atmen. Sie lebt durch ihre Kunstwerke, die in Technik, Materialien und lnhalten immer wieder überraschen. Mit Leichtigkeit scheint sie je nach Lust und Laune von einem Medium zum andern zu wechseln, und doch ist ihre künstlerische Handschrift deutlich, es ist immer wieder Carmen Cabert, die ihren vielen verschiedenen Facetten Ausdruck verleiht. Eine Tänzerin zwischen den Welten, einmal hier als politisch und sozial engagierte, einmal dort als feine lyrische Farbenerzählerin. Dann wieder als klar strukturierte abstrakte oder bewegte und bewegende Malerin. Oder auch spielerisch, wortschöpferisch, die Grenzen überschreitend. Auch Erschafferin dreidimensionaler Objekte, Assemblagen, Collagen aus verschiedenen Materialien.
Die überbordende Kreativität von Carmen Cabert, wo anfangen, wie einordnen oder wie Blumenkistchen zu Kunstkistchen werden. "Bewegung aus dem Moment, bewegte Mitte, spielen, vibrierende Linien – was passiert zwischen den Gedanken, wo die Welt grenzenlos ist -" sind ihre eigenen Worte und Gedanken.

Noch in den 80er Jahren stand die Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Themen im Vordergrund, zum Beispiel 1989 der MauerfaIl, dann auch Europa, Nationalismus und Gen(Gender/Gattung) mani (Geld) pull (ziehen) aktion (Aktion). Gedankengebilde, Wortspiele umgesetzt als Objektkunst, Nagelbilder, Assemblagen, Ready made. Aufgereihte Köpfe aus Styropor - der Gedanke, die Gesellschaft zum Kunstwerk verarbeitet. Grundlagen aus Josef Beuys Kunst-Labor! Das war Carmen Caberts Einstieg und heute noch einer ihrer zahlreichen künstlerischen Facetten, wo sie sich Luft verschafft, wenn sie sich von den Geschehnissen und gesellschaftlichen Problemen der Welt überrollt fühlt.

Carmen Cabert, die autodidaktisch, aus innerem Drang schon früh zur Künstlerin wurde und sich an verschiedenen Hochschulen für Kunst weiterbildete, stellt ihre Bilder und Skulpturen seit 1986 regelmässig in Galerien aus. Ihr erstes grosses Vorbild war Angelica Kauffmann. die unabhängige, kosmopolitische Künstlerin des 18. Jahrhunderts, deren Vater aus dem Vorarlberg herkam, aus der gleichen Gegend wie Carmen Cabert selbst. Schon als Kind nähte sie für sich und ihre Schwestern ohne Vorbild oder Modell Kleider im eigenen Stil. Die glücklichsten drei Tage ihres Lebens verbrachte sie als 16jährige allein und eingeschneit auf einer Maiensäss. Hier erfuhr sie erstmals die absolute Ruhe und Verbundenheit mit sich, der Natur und dem Universum. Dieses All-Eins-Sein war ein spirituelles Schlüsselerlebnis, das sie ihr Leben lang, besonders auch als Künstlerin begleitet. Dies ist die Quelle aus der sie ständig schöpft Der Rückzug zur eigenen Mitte, wo sie in sich Geborgenheit und künstlerische Inspiration findet.

Trotzdem, der Weg und das Selbstverständnis als Künstlerin fällt ihr nicht immer leicht. Da sind einmal die eigenen hohen Ansprüche an Perfektion, die tausend Ideen, die sich nicht alle gleichzeitig umsetzen lassen, wo es Geduld und Reifung braucht, dann aber auch die herkömmlichen Techniken, die nicht immer ausreichen. Und genau hier öffnete ihr die Auseinandersetzung mit dem Werk von Max Ernst eine Tür. Max Ernst, ein heute offiziell anerkannter Künstler, der mit der Materie so spielerisch leicht und unkonventionell umging mischte, was man eigentlich nicht mischte - das war für Carmen Cabert der eigentliche Durchbruch. Endlich konnte sie sich von den eigenen einengenden Vorstellungen bezüglich Materialien und Techniken befreien. Collagen, Frottagen, Schriften, Zeichnungen, die auch Geschichten erzählen, fanden fortan Platz in ihrem Werk.

Da gab es aber auch noch die Angst vor der bunten Farbe. Also beschränkte sie sich anfänglich auf Schwarz- Weiss. Dabei entstanden die ersten monochromen Abklatschbilder (Decalcomanie) meist in Serien. Das heisst, die Künstlerin malt zuerst ein Bild, eine Farbform auf eine Glasplatte, und klatscht dieses dann auf spezielles Glanzpapier. Diesen Farbabklatsch bearbeitet sie dann weiter, indem sie vorsichtig die Farbe auf der glatten Oberfläche ausfliessen und sich ausdehnen lässt, jede Fliessbewegung scharf beobachtend, denn solche Bilder lassen absolut keine Korrekturen zu. Dann setzt sie einzelne feine Pinselstriche wie feines vibrierendes Nervengeflecht hinzu. Solche Bilder sind in kalten Dezembernächten entstanden. In tief leuchtendem Schwarz-Weiss wie Röntgenbilder, geisterhaft, faszinierende dunkle Welten.

Doch der Frühling folgt unweigerlich auf den Winter und damit auch das Bedürfnis nach Farbe. Carmen Cabert benutzt nun für dieselbe Technik auch intensive bunte Farben, Gelb, Blau, Rot, leuchtend, durchscheinend, geheimnisvoll. Zarte und zugleich kräftige Bilder entstehen, geben Einblick in andere Welten und Dimensionen, regen den Geist des Betrachters an, inspirieren selbst zu träumen und sich für einen Moment zu vergessen. "Poesie zwischen Dir und mir" ist einer der Bildtitel.

Carmen Caberts neuere Werke basieren auf ihren reichen künstlerischen Erfahrungen. Doch dehnt sie nun die ursprünglich eher kleineren Formate aus und bemalt grössere Leinwände bis etwa ein Quadratmeter in starken Acrylfarben. Mit der kräftigen Pinselführung unterstreicht sie die Malbewegung, bezieht den momentanen physischen Malprozess ins Bild mit ein und macht ihn als künstlerischer Akt sichtbar. Die Palette reduziert sie auf wenige, einzelne Farben. Diese aber schichtet sie sorgfältig teilweise monochrom Übereinander, so dass besonders auf Distanz hin betrachtet die Bilder ein inneres Leuchten ausstrahlen und aus der Tiefe heraus wirken. Im Zentrum stehen neben der Farbkomposition auch Linien, Kreise, Farbtupfen, Drehbewegungen, Kreisbewegungen, Rundungen, Liniengerüste, horizontale Linien, vertikal aufsteigende und abfallende Linien, klare Linien, schwingende Linien, vibrierende Linien, Diagonalen, Linien als unmittelbarer Ausdruck von Bewegung, Strukturen von Wabenformen, Quadratschichtungen- Denkstrukturen in Farbe umgesetzt, gleichzeitiges, vernetztes Denken sind dafür hintergründige Themen. Aber auch immer wieder Ausblicke, Gucklöcher in helle Ferne, Musik als Inspiration, "Gesänge der Frühe" als Bildtitel. Oder dann Schriftzeichen als weiteres Gestaltungsmittel mit uns geläufigen Schriften, aber ebenso mit Keilschrift oder binären Zeichen aus der Computersprache.

Die Lust am Experimentieren mit verschiedenen Materialien ist für Carmen Cabert grenzenlos. Sie sammelt leidenschaftlich gerne Steine - nomen est omen - aber auch andere unscheinbaren oft achtlos weggeworfenen Materialien. So füllt sie Blumenkistchen kunstvoll mit verschiedenen Steinen und thematisiert ihre neuen "Kunstkistchen" beispielsweise als "Familie" oder "Frau", Assemblagen" gestaltet aus Nägeln) Messern, Gitterrollen werden zu politischen Themen, Holzrindenstücke zu Schriftrollen, Pflanzenfasern zu Lebensadern, Baumschwämme zu menschlichem Hirn. Dabei entstehen durchaus auch dreidimensionale Gebilde, wie beispielsweise feiner Maschendrahtzaun spiralförmig aufgerollt mit aufgehängten grossen Glastropfen als kunstvoller Leuchter. Oder sie gestaltet aus Glassplittern transparente, mosaikartige Bilder und ergänzt sie mit Farbkombinationen.

Auch Computerteile werden zur Quelle der Inspiration - Eines der letzten Werke heisst "Bit and Bytes", Hier spielt die Künstlerin mit CD-ROM. Klebt sie mit verschiedenen kräftigen Farben nebeneinander auf einen Grund, so dass das Mittelstück materiell gefärbt erscheint. Bei entsprechender Beleuchtung werden diese "CD-ROM-Bilder" zu lebenden Kunstwerken. Die metallisch glänzenden runden Oberflächen spiegeln die Färbung des Mittelteils, brechen und beugen sie prismatisch. Bei jeder Bewegung des Betrachters erscheint eine neue Farbkombination, eigenständige, sich verändernde Reflexbilder. Lebende, bewegte Mitte, nennt sie die Künstlerin.

Eine weitere Liebhaberei ist ihr Garten, der regelmässig kunstvollen Zuwachs erhält sei es übergeheimnisvolle Tonskulpturen in Büschen und Blumenbeeten oder über Wollfadenskulpturen an Bäumen und Gartentoren. Ich wünsche Carmen Cabert Steiner, dass ihr ihre vielen Ideen noch lange nicht ausgehen und dass ihre Werke den Weg zu den Kunstfreunden finden.