Die Künstlerin liest die Bibel
Die Künstlerin Carmen Cabert liest die Bibel
von Dr. Gisa Lang-Heyn, Germanistik
Welch ein Unterfangen! Da nimmt eine Frau die Bibel zur Hand, beginnt am Anfang und liest alle tausend Seiten des Alten und Neuen Testamentes.Was hat sie dazu bewogen? Gründe mag es geben. Vielleicht ihre Herkunft aus einer katholischen Familie,in der ein individuelles Bibelstudium wenig üblich war.Vielleicht bestimmte biografische Ereignisse und Konstellationen.
Doch damit ist nichts erklärt.
Wir stehen vor dem Ergebnis dieser Lektüre, der Umsetzung der Sprache Luthers in Bilder und Zeichnungen, von denen hier nur ein ganz kleiner Teil zu sehen ist.Ihre "Lektüre" zog sich über viele Jahre hin; immer wieder gab es Unterbrüche, Unsicherheiten, ein sich selber Befragen: was mache ich hier eigentlich? Was will ich mit diesem mir selbst auferlegten und zeitweise völlig besessenen Eintauchen in diese alten Texte?
Keineswegs immer gab es diese Ergriffenheit von der fraglosen Schönheit des Hohenliedes. Manchmal war Langeweile oder Ärger, sogar Wut das Ergebnis der Lektüre.
Carmen Cabert hat auf jede Seite der Bibel als bildende Künstlerin reagiert. Mit dicker Acrylfarbe, meist dunkel, markierte sie die Textseiten, füllte sie mit Linien, mit Bewegungen ihrer Hand, die das wiedergaben, was der Text in ihr ausgelöst hatte. Diese Seiten bildeten die Grundlage für die Graphitzeichnungen. Die Sprache Luthers, der "dem Volk aufs Maul geschaut" hatte, bleibt in dieser künstlerischen Auseinandersetzung insofern erhalten, als jeder Zeichnung Worte beigegeben sind, die zwar alle aus der Bibel stammen, deren logische Abfolge aber in eine rein appellative, assoziative verändert wurde.
Wie viele andere vor ihr hat Carmen Cabert den "Urtext" zur Hand genommen und ihn neu befragt. Mutig und mit gebührender Achtsamkeit hat sie ihn sich anverwandelt und ihre eigene und einzigartige Lesart in Zeichnungen und Bildern zum Ausdruck gebracht.