Die Malerei der Carmen Cabert

Dr. Lothar A. Blum 2002

Erinnern Sie sich? Gerade beschäftigt mit einer der Wichtigkeiten des Alltags, schiebt sich ein von irgendwo hergewehter Geruch in Ihr Bewusstsein und öffnet Ihnen eine alte, längst vergessene Geschichte aus Kindheit oder Jugend. Sie wollen das verschüttete Stück gelebten Lebens festhalten, doch die Ganzheit des Erlebens verschwindet und was bleibt, ist ein rationales, blutleeres Gerüst aus Fakten. Ist man zum ersten Mal mit den Bildern von Carmen Cabert konfrontiert, nimmt man ein ästhetisch angenehmes Ensemble wahr, dessen Bedeutung in seiner dekorativen Wirkung zu bestehen scheint. Doch: Halt! Diesmal sollte nicht der ansonsten rationellen Informationsverarbeitung vertraut werden, die uns aus psychischen Ökonomiegründen alles innerhalb eines Rahmens als gleich erkennen lässt und jede weitere Differenzierung als überflüssig erachtet. Nein, die Malerei von Carmen Cabert verdient Eintritt zu jenem Bereich, in dem wir bereit sind unsere Wahrnehmungen und Erkenntnisse ins Schwanken bringen zu lassen, eben zu jenen, den wir als 'Kunst' betiteln. Eine solche Auszeichnung verlangt nach Rechtfertigung, zugegeben. Diese gelingt am deutlichsten mit Bildern ihrer 'schwarzen Serie'. Auf den distanzierten Blick beinahe monochrom, entwickeln sie beim Eintreten ins Bild eine virtuose Komplexität voller Deutungsaufforderungen. Nur - und dies ist das Besondere an Caberts Malerei dringen keine Worte an die Bewusstseinsoberfläche des Betrachters wie in anderen Begegnungen mit gegenwärtiger Malkunst. Ich denke dabei beispielsweise an Bilder von Neo Rauch, Luc Tuymans oder Jan Schüler, die zumindest - neben ihrer nicht zu leugnenden emotionalen Qualität - nach dem interpretierenden Wort verlangen. Sozusagen zeitgemäß. Sozusagen ein Entdeckungsverlust durch zu klares definieren, Caberts Bilder leiten den Betrachter geradewegs zu sich selbst, zu jenem Kosmos, der jedem von uns eigen ist, öfters dunkelig denn hell, meist verschüttet, wesentlich platzgreifender als wir uns zugestehen, aber immer - sofern es uns gelingt die Eingangstür zu finden - prickelnd und abenteuerlich, vielleicht ein wenig sentimental. Bitte, nicht falsch zu verstehen, es gibt und gab deren genug Maler, die in raffinierter Art und Weise den Weg ins Innere auszulösen verstehen, ein Aspekt, der der Malerei immer ihre Rechtfertigung in der Kunstlandschaft sichern wird. Jetzt, früher und im noch zu Begegnenden. Caberts Leistung - in diesem Zusammenhang - beruht in der offerierten Vielzahl von Assoziationsaufforderungen zu ein und demselben Bild. Sie liebäugelt mit unserer Verdammnis zur Mustererkennung. Mittels dieser Wahrnehmungseigenschaft öffnet sie uns - je nach Augenblicksbefindlichkeit - verschiedenste Fenster zu unserem Innenleben, ist somit ausgeprägt betrachtungssubjektiv. Ein Bild: Durch vielfach schattiertes Grauschwarz schlängelt sich ein Rot, das bald zurücktritt um einem Grün, einem Blau für Momente den Vortritt zu lassen. Die Farbe tritt sanft auf, um nicht zuviel pompösen Krach zu verursachen. Nichts dominiert. Das Bild ist Ganzheit. Es findet keine Zergliederung statt und wir, die Rezipienten, sind es, denen - in unheimlicher Dichte - aufeinander folgend Türen zu jenem am Beginn beschriebenen Reich geöffnet werden. Caberts künstlerische Leistung besteht - und dies sollte ihr in der malenden Kunstlandschaft einen Platz sichern - im Gestalten von Bildkompositionen, die sich sofort durch scheinbare Einfachheit anschmiegen, doch schon bald ein chamäleonhaftes Eigenleben entwickeln, das nur entfernt intersubjektiv erfasst werden kann, sondern ganz dem Einzelnen und seiner Vergangenheit angehören.