Ein Museum für Nacktschnecken??...!!!!
Mit dem 12 Meter hohen ‚Puppy', einem Hündchen bestehend aus 17 000 Blumen, touchierte Jeff Koons 1992 die Grenze von Kunst. Mit der Aktion ‚I like America and America likes Me' verbrachte Josef Beuys drei Tage in einer New Yorker Galerie mit einem von den amerikanischen Ureinwohnern für heilig gehaltenen Kojoten. Auch Beuys touchierte damit die Grenze von Kunst.Beide aber hielten trotz der Außergewöhnlichkeit die Diskursanbindung zur Kategorie ‚Kunst' aufrecht.
Ein ‚Museum für Nacktschnecken'?? Auch hier touchiert jemand die Grenze von Kunst, will ausloten, versucht unsere eingeschliffenen Denkbahnen zu irritieren. Dieser Jemand gibt sich nicht mit bereits vorliegenden Antworten zufrieden, kaum dass die Fragen unseren Mund verlassen haben. Sie, die sich auch mit ‚Eremitin im Nichts' betitelt, sucht, vertreibt, verschenkt, vermittelt und ermittelt Zwischenräume in unserem wohlvertrauten Lebensland. Es ist ein Pirschen nach Unentdecktem, weil oft zu Offenkundigem.
Wie war es mit der (leider noch unveröffentlichten) Dokumentation von abgelegten Kleidungsstücken, kurz vor Ihrem Zu-Bett-Gehen? Jeans, Socken Rock, BH, Bluse, Abendkleid, Strümpfe, Pullover … über die Stuhllehne gehäuft. Ein anhaltend Gleiches in unbeachteter Variation. Sie fordert Achtsamkeit ein. Wie war es mit den Weißen Flecken? Wie mit den Aschebildern? Mit dem Mensa-Projekt? Und wie ist es mit dem jüngst eröffneten ‚Museum für Nacktschnecken'? Carmen Cabert verwandelt die Nacktschnecke. Eine vertraute, oft gehasste, manchmal mit Scherenschnitt zweigeteilte Kreatur wird ihrer Natur beraubt. Wohlgemerkt, ihrer vom Menschen zugedachten Natur. Plötzlich wird die Nacktschnecke hofiert, gefüttert, werden ihre Schleimspuren zu Sinnbotschaften, eben zum Lebenssinn einer Nacktschnecke. Sie überschleimt Bildwerke von Carmen Cabert. Wird somit zum interaktiven Co-Künstler. Sie erwählt das ihr genehme Melonenstück aus einem Tellerkreis im Gras. Und nicht zuletzt darf sie tun, was Nacktschnecken ansonsten nicht tun dürfen. Ein Stück Freiheit verschenkt an ‚die Nacktschnecke'. Carmen Cabert verwandelt die Nacktschnecke.
Was ist Kunst? Etwas, das die Welt verbessert? Wohl kaum. Aber wenn etwas unsere Welt vergrößert, verwandelt, wenn etwas uns im ansonsten Offenkundigen neue, bisher unerkannte Augenblicke verschafft, dann kann das sehr wohl Kunst sein. Eine Nacktschnecke kann auch eine andere Nacktschnecke sein.
Lothar A.Blum