Landart unterwegs in die Stadt
Regula Zellweger, Anzeiger Affoltern a.A. 17.8.2010
Die weissen Flecken der Bonstetter Künstlerin Carmen Cabert ziehen weitere Kreise.
Als sich Carmen Cabert vor gut zwei Jahren von frisch gefällten Bäumen im Wald bei ihrem Haus in Bonstetten inspirieren liess, sich weisse Farbe besorgte und die Baumstrünke in leuchtend weisse Flecken verwandelte, ahnte sie nicht, dass ihr spontanes Tun ein Kunstwerk werden sollte, das sich über Jahre weiter entwickeln wird.
Damals, als es die Autobahn durch das Säuliamt noch nicht gab, fuhr man direkt am Waldstück vorbei, aus dem weisse Flecke leuchteten, welche die Neugier weckten. Wozu bemalt jemand im Wald die Schnittstellen gefällter Bäume? Am Anfang stand aber keine Absicht, sondern die Lust, spontane Ideen einfach umzusetzen. Carmen Cabert kraxelt auch heute noch im steilen Bachtobel auf und ab, bemalt die Schnittstellen der gefällten Bäume mit weisser, biologisch abbaubarer Farbe und freute sich, wenn sie von ihrem Fenster aus die weissen Flecke sehen kann. Ihr fast meditatives Tun ist begleitet von vielen Gedanken rund um Schöpfung und Natur, ums Leben, um Werte und Sinn.
Wie ein Steinwurf ins Wasser
Menschen sahen die weissen Flecke, kamen wegen der weissen Flecken – und dachten nach. Gedanken um die Natur, um die Künstlerin und ihre Aussagen, eigene Gedanken. So zog das Werk von Carmen Cabert immer weitere Kreise, wie Ringe im Wasser nach einem Steinwurf, die an die viel langsameren Jahresringe der Bäume erinnern. Die ringförmigen Wasserwellen können an einem Objekt brechen und sich wieder zurück bewegen. So kam die Botschaft der weissen Baumstrünke bei der Kuratorin der Galerie Wengihof, Sofie Wandeler, an. Sie nahm mit Carmen Cabert Kontakt auf und gemeinsam organisierten die beiden Frauen nun eine Ausstellung in sieben Stationen. So begann eine neue Bewegung. Die neuen Wellen schneiden sich mit den alten und bilden ein neues Muster. Sie werden viele Menschen erreichen, die an den einzelnen Stationen – vielleicht zufällig - den weissen Baumtranchen begegnen. Diese weisen den Weg von Bonstetten nach Zurich.
Schweisstücher als moderne Reliquien
Baumstrunktranchen machen schlussendlich zusammen mit Schweisstüchern Halt in der Galerie Wengihof. Die Abriebe der Baumstrünke, Graphit auf weissem Stoff, wirken wie Schweisstücher. Hier lehnt die Künstlerin an die Legende des Schweisstuches der Veronika an: Nach der christlichen Überlieferung hat Veronika ihr Tuch Jesus auf dessen Weg nach Golgota gereicht, um Schweiss und Blut vom Gesicht abzuwaschen. Dabei soll sich das Gesicht Jesu auf wunderbare Weise auf dem Schweisstuch als sogenanntes Veronikabild eingeprägt haben. Diese Reliquie hat immer wieder Künstler inspiriert.
Ergänzt wird die Ausstellung mit Texten von 22 verschiedenen Autorinnen und Autoren. Carmen Cabert liebt sogenannte Wortcollagen und kombiniert selbst immer wieder Schrift, Fotografie und Bild. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Bildband, der bei der Künstlerin bezogen werden kann.
Eindrücklicher, je näher bei den Wurzeln
Die Abriebe, einzigartige, riesengrosse „Fingerabdrücke“ von Bäumen, entstehen in harter Knochenarbeit. Mit einem Stück Graphit reibt Carmen Cabert stundenlang im unwegsamen Gelände über Stoff, der auf dem Baumstrunk liegt. Diese Frottagen sind Porträts von Bäumen, zeigen ihr Innenleben und erzählen ihre geheimnisvolle Geschichte. Je näher der Schnitt bei den Wurzeln erfolgte, desto interessanter ist die Form der Frottage. Eine der vielen Metaphern, die sich fast aufdrängen, wenn man dem Werk von Carmen Cabert „nach-denkt“.
Sich inspirieren lassen
Sofie Wandeler schrieb, inspiriert durch das Projekt: „Unterwegs-Sein als Kontrapunkt zum Ort. Getrieben-Sein als Gegenpol zum Dasein. Die Galerie als Antithese zur Landart. & im Weg die Verschmelzung zu einem.“ Carmen Cabert hat viele neue Ideen. So hat sie die Form der Baumstrünke mit Draht nachgezogen – was daraus werden will, weiss sie noch nicht genau. Sie hat sich einen Stamm von einem Waldarbeiter in grobe Würfel schneiden lassen und ist völlig begeistert, wie das Trocknen Risse gestaltet hat. Man darf gespannt sein, wie sich die Bonstetter Baumgeschichte weiter entwickelt.