Michelangelo - Spiel mit dem Feuer

Dr. Stefanie Dathe, Kunsthistorikerin 2009
Ein cooles Pathos zeichnet die Kunst der letzten 20 Jahre aus. Denn sie spart das Leben zu sehr aus. In der internationalen Kunst der jüngeren Generation tritt das persönliche Expressive zurück zugunsten kollektiv erfahrener Konditionierungen.
Umso tröstlicher ist es, dass es doch noch, immer wieder, oft im Verborgenen Künstlerinnen und Künstler gibt, deren Werke eine ungestüme, durchdringende Kraft aufweisen, die von inneren Notwendigkeiten und persönlichen Erfahrungen berichtet. Eine Kraft, die einen kaum unberührt lässt.

Carmen Cabert, alias Carmen Steiner, zählt zu jenen Künstlerinnen, die zurückgezogen, in der Intimsphäre ihres Ateliers sämtliche Höhen und Tiefen des affektiven und kreativen Schaffens durchlebt. Ihre mit persönlichen Erfahrungen gesättigten Bilder und Objekte berichten über das Erfahrung des Ichs und das Erleben der Zeit beim Malen und Gestalten.

Ich kenne Carmen Cabert schon lange, schon viele Jahre. Durch die Galeriearbeit haben sich unsere Wege in Zürich gekreuzt. Ich habe Carmen Caberts künstlerische Arbeit verfolgt. Mal aus der Nähe, mal aus der Distanz erlebt, mit welcher Entschlossenheit und unbeirrten Radikalität eine stille und zarte, hoch sensible und sinnliche Frau ihre Anliegen offenbart, erprobt und kraftvoll in die Welt trägt.

Während unsere Gesellschaft ständig von Äußerlichkeiten, von Lebensqualität redet, ist Carmen Cabert auf der Suche nach Innerlichkeit, nach pulsierender Lebensintensität. Sie trägt ihre Erforschungen des Gefühls, der Wahrnehmung und des Ausdrucks direkt mit sich, in und durch ihr Kunstschaffen aus, um dabei alle Pathosgrenzen zu ignorieren. Nur so bleibt sie nicht auf halbem Wege stecken.

Carmen Caberts Kunstwerke bergen jene rasende Schönheit, die lebensspendende Hässlichkeit in sich hat. Denn was wäre ein Feuerwerk ohne Detonation! Das Fließen, Auslaufen lassen und Verwandeln ist von größter Bedeutung, um in verschiedener Hinsicht das Erkenntispotential zu steigern. So gehört nicht nur das Auflehnen, sondern auch das Zurücklehnen, Sich-Treiben und Fallen lassen, das Genießen und Verweilen dazu, sich dem Lebensstrom ohne Dammsysteme hinzugeben.

Carmen Cabert fokussiert bewusst in sich selbst das Prinzip des Künstlerischen, Schöpferischen. Sie ist bedingungslos dabei, sich neugierig in die Essenz hinein zu stürzen, um ihre Fackeln dort zu zünden, wo wir heute ein wenig Licht im Dunkeln benötigen.


„Flirt mit Michelangelo – Spiel mit dem Feuer“ lautet der Titel zu dieser Ausstellung.

Carmen Cabert arbeitet zyklisch, in Serien, die aus der lang währenden gedanklichen Auseinandersetzung mit einem Thema erwachsen.

Ihre jüngste Auseinandersetzung hat sie in die Arme Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simonis getrieben. Jenem bedeutendsten Repräsentanten der italienischen Hochrenaissance. 1474 im toskanischen Caprese geboren und 1564 in Rom gestorben.

Michelangelos Geschichte ist die eines unbeugsamen Willens und fast übermenschlicher Energie, wenn auch sein Wille sich kaum jemals durchsetzen konnte, und seine Energie immer mit den Umständen kämpfte.
Wenn man Carmen Cabert kennt, fühlt man eine verblüffende Verwandtschaft, eine inner Nähe zu jenem Meister, dessen einziges Werk, das er jemals nach einen seinen ursprünglichen Vorstellung vollenden konnte, die Dekoration der Sixtinischen Kapelle war.

Carmen Cabert hat sich die sixtinische Figurenwelt des Michelangelo angeeignet. Sie nutzt sie als bildnerisches Rohmaterial, um sie in der vielschichtigen Überarbeitung zu erobern und zu verfremden. Sie hat den Michelangelo, der im Kulturerbe der Menschheit zu einem kommerziell ausgeschlachteten Allgemeingut geworden ist, zu ihrem eigenen gemacht. Sie zitiert nicht seine Kunst, sie imitiert nicht seine Handschrift, sie eifert nicht seinem Können nach, wie es so viele Künstlerinnen und Künstler vor ihr getan haben. Carmen Cabert tritt mit Michelangelos Bildsprache in einen schöpferischen Dialog, in eine unbekümmerte, malerische Zwiesprache, die ihr einen ganz eigenen Zugang zum Werk des Jahrhundertgenies – ganz ohne Pathos - eröffnet. In einem dynamischen Prozess der Auflösung und Überarbeitung transformiert sie die fest gefügten Formen und Lineaturen in ein bewegtes und bewegendes Spiel aus Farbmodulationen, Flächen und Gesten, das sich nur noch auf affektive Emotionen konzentriert. Das zeitlos klassische Antlitz in Michelangelos Personal, nur noch partiell erkennbar, wird zum suggestiven Ausdrucksträger ewig menschlicher Gefühlsregungen wie Liebe und Hass, Glaube und Angst, Hoffnung und Verzweiflung und damit – ich zitiere meinen Kollegen Timo Goldmann: „zu einer Demaskierung der immer währenden Menschlichkeit von Michelangelos Kunst“. Betroffenheit und Faszination, das Interesse am Menschsein und die Suche nach einer direkten Wahrheit sind ihr Antrieb und Inspiration. Carmen Cabert geht es nicht darum, das Unbewusste zu erforschen, sondern ein umfassenderes Bewusstsein zu erstellen, auch mehr über sich selbst zu erfahren..

Der Rhythmus bedingt die Bildkunst.

Es gibt das langsame Schauen, die großzügigen elastischen Schwünge, die in verzögertem Tempo entstanden sind, und die atemlos der Bildvorstellung nachgejagten Gesten. Beim Malen ist der Erfahrungsschatz des Zeichnens verfügbar. Auf der Suche nach einer aus der Malerei gewachsenen Bildhaftigkeit sind es die „Gedankengänge und fühlenden Farben“ – wie Carmen Cabert selber schreibt – die Ihre Kunst zum Blickfang werden lassen...

ZWISCHEN UNTERNEHMUNGSLUST
UND ZWEIFEL
ZWISCHEN FLAMMENSPITZE
UND ASCHE
IN DIESER SCHWEBENDEN
BEWEGENDEN STIMMUNG
REIST SIE DURCH DIE ZEIT
So ist es in Carmen Caberts Homepage zu lesen.

Allein die persönliche Konfrontation mit Michelangelo beweist, dass Carmen Cabert in all ihrer Zeitgenossenschaft eine Künstlerin der Rückbesinnung ist. Carmen Cabert lebt mit und in der Zeit. Sie lebt im Bewusstsein der Vergänglichkeit, die nicht nur Zerstörung, sondern immer auch eine Zustandsveränderung mit sich bringt. So verdichten und konservieren sich in ihren Aschebildern durch den Vorgang des Verbrennens und durch das Einsetzen der Asche in einem neuen Prozess der Bildgenese Vergangenheit und Gegenwart zu einer neuen Wahrheit. Auch die vielen verschiedenen Objets trouvés aus Natur und Zivilisation, die sie im Laufe ihres künstlerischen Werdegangs gefunden und verarbeitet hat, künden vom unaufhaltsamen Verrinnen der Zeit.

Und in Carmen Caberts Collagen aus Text und Fotografie geht es um gefrorene Momentaufnahmen, die die Kamera konserviert und deren ephemere Atmosphäre die Künstlerin durch assoziativ-lyrische Fragmente gedanklich erweitert.

Was passiert zwischen den Gedanken - in diesen Zwischenräumen, wo die Welt wohl noch grenzenlos ist? Diese Frage inspiriert mich immer wieder, lässt mich arbeiten, treibt mich voran. erläutert Carmen Cabert in einem ihrer vielen selbstreflexiven Texte zur Kunst.

Schon seit Anbeginn beschäftigt sie die grundlegende Frage nach dem 'Dazwischen', nach den Zwischenräumen zwischen den Gedanken. Was passiert intuitiv in diesem Vakuum? Gibt es diese Zwischenräume überhaupt? Welche Rolle spielen sie in unserer Welt, unserem Leben, unserer Kommunikation? Wie beeinflussen sie unser Denken und Handeln?
Auf der Suche nach der künstlerischen Antwort auf eine hierin verborgene metaphysischphilosophische Grundfrage bewegt sich Carmen Cabert in ihrer Arbeit zwischen Zufall und Vorsehung. Vorgefasst ist die Idee, der Bildanlass, doch der malerische Weg dorthin bleibt offen. Er ist die unvorhersehbare Komponente, die Vorstellung allerdings bleibt Ursprung und Ziel.
So stehen sich in Carmen Caberts Werk Abstraktion und Realistik dicht nebeneinander. Sie ergänzen sich zu einem untrennbar Ganzen, zu einem Spiegel unserer Sinneswelt.
Carmen Cabert setzt in ihren zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion lavierenden Bildweiten die Imagination des Unterbewussten unter der Zensur eines reflektierenden Intellekts direkt ins Bild um. Die spontanen Gesten, als Psychogramme innerer Vorstellungen gedeutet, finden in ihrer Bildsprache mit bewusst gesetzten figurativen Elementen zu einer ungewöhnlich dynamischen Synthese. Intuition und Assoziation werden zu den bestimmenden Ordnungsprinzipien der Malimpulse.

Und die Kunst selbst zu ihrem Lebenselexier.