Regelwerke der Natur

Rahel Uster, Kulturwissenschaftlerin 2006

Eine Besinnung auf das Organische scheint Carmen Caberts neues Projekt zu sein. In bisherigen Arbeiten dominierten schwebende Transparenz in heller, bunter Leuchtkraft oder verschlingendes Dunkel, hervorgegangen aus einem leichtfüssigen Spiel. Die jüngeren Arbeiten wenden sich erdigeren Themen zu; der Zufall wird der Natur überlassen; sie findet ihre Muster, und Carmen Cabert – sich als Teil der Natur verstehend – findet sie in der Natur.

Carmen Cabert nennt diese Arbeiten InforNatik, weil zu Beginn des Projektes eine intensive Auseinandersetzung mit Information in der digitalen Welt in ihren Einzelbestandteilen stattfand. Von der reduzierten Codierung 0 oder 1 gelangte Carmen Cabert zu dem Wort – der Bibel. Und von da zur Schöpfung und deren baren Informationsquelle – der Natur.

Ihr Ort der kreativen Tätigkeit beschränkt sich nicht auf das Atelier; der Raum der Inspiration weitet sich aus auf Orte der Andacht wie Wälder, Kirchen und Endlager für Metalle.

Dabei stellen sich Fragen wie: Was vermag ein einzelner Mensch auszurichten? Wie gross ist seine Wirkungskraft und wo kann er eingreifen? Wie frei ist der Mensch? Oder wie eingebunden ist der Mensch in die vorgegebenen Muster seiner Umgebung – wie eingebunden ist er in jene der Natur?

Die Faszination gilt dem Zufall oder der Regelhaftigkeit der Natur während eines Spazierganges. Hier lässt sich Information aus der Natur holen. Inspiriert von Baumstrunken, vom pechschwarzen Gerippe verkohlter Wurzelansätze, von einem weiblich anmutenden Torso eines Baumes, von feinen Regelwerken pflanzlicher Fasern, von Asche und Staub schimmert immer wieder die Frage durch: "Bin ich Natur oder bin ich mehr?"

Daraus ist ein doppelbödiges Spiel mit und in der Natur entstanden, in dem unklar bleibt, inwiefern die Künstlerin mit der Natur spielt, in sie eingreift oder aber sich als kunstschaffendes Naturwesen in das Regelwerk der Abläufe der Natur einreiht.


Die Frage nach der Frau bleibt auch in der neuen Arbeit Carmen Caberts erhalten und die weiblichen Spuren finden sich in Torsen, (verdeckten) weiblichen Blicken, sorgsamen haushälterischen Sammlungen von zusammengehörenden Restbeständen; sie finden sich auch in einer Frau namens Lilith.

Das Eingebundensein in den Zyklus von Entstehen und Vergehen, um wieder aufs Neue zu entstehen, scheint dem Schaffen der Künstlerin innezuwohnen. Eigens hergestellte Arbeiten werden geäschert, und die Asche dient wieder als Grundlage für neue Ideen. Dogmen und Tabus, die den Ideenfluss hindern, werden damit verbrannt.

Rahel Uster*

* Rahel Uster hat an der Gerrit Rietveld Academie Kunst studiert, ist lizenzierte Politologin und schliesst gegenwärtig einen MA in Kulturwissenschaften und einen MA in Kulturmanagement ab.