Tisch 2 - Stefanie Dathe/Text


Also gut, dann fress‘ ich dich
Zwei Teller. Ohne Gedeck. An einer gedehnten Tafel. Ein entferntes Gegenüber. Ein stiller Dialog. Ein sinnliches Miteinander. Ein Tête-à-tête zwischen Plüsch und Buch, Fell, Gebiss und Literatur. Weit entfernt. Auf große Distanz. Zwischen Meret Oppenheim und James Joyce. Verhüllt und verborgen, abgenagt und abgekürzt auf ein JA, JOY: Welch ein Vergnügen, welche Lust!

ES KAM der irische Odysseus – Ulysses. Held der Irrfahrten durch einen bruchstückhaften Bewusstseinsstrom aus Gedanken, Erinnerungsfetzen und Vorstellungen. Hat er vom anderen Ufer gekostet und vis-à-vis die Knochen abgenagt?

Ein Buch wie eine Speisekarte. Ein Teller wie eine Verkleidung. Fell und Knochen als unverdauliche Relikte eines Jagdbanketts. Weich und anschmiegsam bändigt das zarte Haarkleid die wilde Ungezügeltheit des Leders. Weiblich und erotisch wärmt der kostbare Pelz die zerbrechliche Leidenschaft der Porzellanseele. Grafisch gefügt wie die lächelnde Mandorla einer Vulva sinken die blanken Kieferknochen in das zärtliche Fell.

Vergessen sind Fressen und gefressen werden, jene Triebfedern der Evolution, die nur Exkremente wie Asche an einer Feuerstelle hinterlassen. Vergessen ist das unbändige Tier der Gewohnheit. Dem Teller ist ein mondäner Biberpelz gewachsen. Ausgebrochen aus der Gebrauchstüchtigkeit verweigert er sich dem Üblichen, serviert er unverdauliche Unsterblichkeit. Jenseits kultivierter Tischmanieren.

Es scheint ein karges Mahl zu sein. Ungeeignet für den Gourmand, der nach körperlicher Sättigung strebt. Umso nahrhafter mag die geistige Erbauung sein. Ein Roman als achtzehngängiges Menü für den literarischen Feinschmecker. Und die geheimnisvolle Fragwürdigkeit eines verwilderten Gebrauchsgegenstandes als Gegenüber.
Frei entfalten sich die Versuchungen des Ulysses im Gedankenraum. Zwischen Vorbehalt und Sehnsucht sammeln sie sich im verführerischen Schoß des zahnlosen Mantelpelzes.

Die Banalität des Alltags ist überwunden. Die Verwandlung der Gegenstände ist vollkommen, der Zeit enthoben. Tisch und Teller bieten die Bühne für einen spielerischen Impuls. Aufgeführt wird ein gesellschaftliches Ritual: das Stück von Bedrohung und Hingabe.

Das rituelle Repertoire eines Menü à deux zwischen temporärer Eroberung und Okkupation von Platz und Raum ist einem surrealen Vergnügen gewichen. JA JOY: Also gut, dann fress‘ ich dich..

Stefanie Dathe