Weisse Flecken dieser Welt


Dr. Lothar A. Blum, Kunstkritiker 2010

Ein Geheimnis und doch keines ist er, der Dschungel des Wirklichen. Und damit meine ich nicht jene täglich sinnlich wahrnehmbare Vielheit der großen, mittleren und kleinen Dinge. Nein, es reicht 'ein Ding' und die Vielheit wird geboren durch den Beobachterstandort. Carmen Cabert 'Weiße Flecken' sind ein herrliches, dem Kunstumfeld zugehöriges Beispiel für die Deutungsvielheit eines scheinbar inhaltlich überschaubaren 'Dinges'. In ihrem 2008 erschienenen Bildband über jene weiß bemalten, tobelnahen Baumstümpfe in Bonstetten erfahren wir mehr über Vielgestalt und Wesenswandel von - im ersten Drüberschauen - Einfachem.

Auf die immer wieder gleich gestellte Frage 'Was bedeuten für Sie die weißen Flecken im Wald' lesen wir da von 'Erinnerungen an die Vergänglichkeit' und 'Hoffnungsschimmer der Unvergesslichkeit', vom Gefühl 'in einem Märchenwald' zu sein, von 'einem Deckel obendrauf, der die Schreie erstickt' oder 'Als erstes dachte ich an die Blindenattribute: Sind wir blind oder seid ihr blind?'

Carmen Caberts Kunstwerk trägt mit dazu bei eben jenes immer noch in vielen Köpfen bestehende Geheimnis von der Vielgestalt des sinnlich wahrnehmbaren 'Einen' zu lüften.

Dessen nicht genug, vervielfacht sie in einem an die Bemalung der Baumstümpfe anschließenden Aktionsfeld die Deutungsmöglichkeiten dieses 'Einen' durch der Schnittfläche entnommene Frottagen, durch in Draht gebogene Umrisse der 'Verbliebenen' und in Quader geschnittene Holzklötze der 'Verschwundenen'. Wir werden Zeuge, wie aus dem 'Einen' ein Kosmos geboren wird und erfahren durch Carmen Caberts Kunstwerk den Hauch einer Ahnung vom Kosmos des 'Vielen'.